Cover
Titel
Todesarten. Sterben in Kultur und Geschichte


Herausgeber
Planert, Ute
Reihe
Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte
Erschienen
Köln 2023: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nina Kreibig, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Tod ist unser ständiger Begleiter und niemand kann ihm entkommen. Mit dieser Erkenntnis beginnt der von Ute Planert herausgegebene Sammelband zum Thema Todesarten. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines jeden Menschen, eine Haltung zum Tod einzunehmen, die kulturell unterschiedlich ausgeprägt wird. Diese kulturelle Konstruktion von Todesvorstellungen steht im Mittelpunkt des Sammelbandes, der aus einer Vorlesungsreihe vor dem Hintergrund der Coronapandemie und dem aktuell diskutierten Klimawandel hervorgegangen ist und die Zielsetzung verfolgt, einen interdisziplinären Dialog über Tod und Sterben anzustoßen. Zusätzlich zur Einleitung setzt sich der Band aus 15 Beiträgen zusammen, die in chronologischer Reihenfolge Themen von der Antike bis in die Gegenwart behandeln. Dabei ergeben sich durchaus inhaltliche Überschneidungen.

So fokussieren der Althistoriker Karl-Joachim Hölkeskamp und der Neuzeithistoriker Arne Karsten beide auf die Relevanz von prestigeträchtigen Bestattungen als Absicherung respektive Optimierung eines familiären Status. Hölkeskamp behandelt in diesem Kontext die Leichenbegängnisse römischer Adeliger aus den Jahrhunderten vor der Zeitenwende, die einen Verweis und eine Eingliederung der Verstorbenen in die familiäre Ahnenreihe vorsahen. An dieser Stelle hätten sich am Beispiel des expliziten Gebrauchs der Totenmasken auch theoretische Überlegungen angeboten, wie Kantorowiczs Konzept von den zwei Körpern des Königs.1 Arne Karsten befasst sich mit Testamenten von Kardinälen aus der Frühen Neuzeit, indem er diese mit Vorgaben zur Behandlung der Verstorbenen und Erinnerungen an die Toten abgleicht. Dadurch liefert er einen Beitrag zur Mentalitäts- und Sozialgeschichte. Eine aufwendige Beisetzung diente nicht selten dem familiären Prestige und setzte sich auch über individuelle Wünsche der Toten hinweg.

Als ein weiterer Schwerpunkt kann eine Beschäftigung mit der Erinnerungskultur vor einem politischen Hintergrund konstatiert werden. Hierfür zeichnen sich im Besonderen die Beiträge der Historikerin Gudrun Gersmann zur Rezeption der Toten der Französischen Revolution, der Historikerin Ute Planert zum gewandelten Umgang mit dem Tod von Soldaten während des 18. und 19. Jahrhunderts, der Literaturwissenschaftlerin Gabriele von Glasenapp und des Japanologen Stephan Köhn aus. Von Glasenapp behandelt die Darstellung in Kinder- und Jugendliteratur von kindlichem Tod und Sterben während der Shoa und greift damit ein lange tabuisiertes Thema auf. Anhand ausgewählter Literatur zeigt sie formale Erzählstrukturen auf, die diese kennzeichnen und weist Verbindungen gesellschaftlicher Entwicklungen nach, die maßgeblich auf die Art der Erzählungen Einfluss nahmen. Ebenfalls einen literaturhistorischen Ansatz verfolgt Köhn, indem er sich in seinem Beitrag über den „nukleare[n] Tod in Japan“ mit den Folgen des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki beschäftigt. Im Zentrum seines Textes steht das Werk der japanischen Autorin Ota Yoko, die als Überlebende des ersten Atombombenabwurfs zeitlebens das Thema behandelte. Das Genre der „Atombombenliteratur“ (S. 214) wurde in Japan durch Zensur der Alliierten und später durch die japanischen Behörden unterdrückt. Zudem wurde eine Auseinandersetzung dadurch erschwert, indem die Orte „enthistorisiert“ (S. 229) und die Bedeutung der Opfer negiert wurden.

Aus religionshistorischer Perspektive beziehungsweise mit relevanten religiösen Bezügen im Umgang mit dem Sterben setzen sich der Theologe Andreas Michel, der Mediävist Patrick Nehr-Baseler sowie die Theologin Caroline Helmus auseinander. Michel zeigt anhand einer biblischen Exegese, wie sich die Vorstellungen vom Tod von alt- zu neutestamentarischen Auslegungen gewandelt haben. Nehr-Baseler geht anhand von spirituellen und medizinischen Texten des späten Mittelalters der Unsicherheit des Todeszeitpunktes auf den Grund. Sowohl die Frage nach dem Todeszeitpunkt als auch nach medizinischen Diskursen über eine „richtige“ Lebensführung hätten einen spannenden Ausblick auf das 18. und 19. Jahrhundert liefern können, in denen derlei Fragen neuerlich verhandelt wurden.2 Helmus wiederum thematisiert Vorstellungen des Transhumanismus in der Gegenwart als ein Bestreben, durch technologische Erweiterungen den Menschen zu verbessern respektive zu überwinden. Transhumanismus wird hier als „säkulare-eschatologische Weltanschauung“ (S. 303) interpretiert.

Unter dem Stichwort kulturell unterschiedlicher medialer Gestaltungsformen im Kontext von Tod und Sterben können gegebenenfalls mehrere Beiträge subsumiert werden: Die Literaturwissenschaftlerin Monika Schausten befasst sich mit unterschiedlichen Erzählformen als Möglichkeiten einer Bewältigung des Todes während des Mittelalters. Im Zentrum des Beitrages von Henriette Terpe stehen „Todestagebücher“ von drei hispanoamerikanischen Autor:innen aus dem 20. Jahrhundert. Als Musikwissenschaftler setzt sich Frank Hentschel mit der Musik zweier Filme auseinander, die den Vietnamkrieg und dargestelltes Sterben thematisieren. In Platoon (1986) wird die Sterbeszene von Samuel Barbers klassischer Musik begleitet, die im US-amerikanischen Kontext eine besondere erinnerungspolitische Bedeutung genießt. In Full Metal Jacket (1987) wiederum verweist die verwendete Popmusik auf die völlige Absurdität der Umstände. Zum besseren Verständnis wären hier zusätzliche Informationen über den filmischen sowie den persönlichen und politischen Hintergrund der Regisseure Oliver Stone und Stanley Kubrick sinnvoll gewesen. Der Medienwissenschaftler Benjamin Beil setzt sich mit Tod im Computerspiel und damit Sterben in erschaffenen fiktionalen Welten auseinander. Dabei geht er aber weitestgehend nicht auf Spiele ein, die als sogenannte Ego-Shooter bezeichnet werden, sondern solche, die sich nach anderen Konzepten mit dem Tod befassen. Ein Verweis auf die Hintergründe, Reaktionen und Rezeptionen dieser Spiele in der „Außenwelt“ findet sich hierbei nicht, obgleich es interessant gewesen wäre, der Intention der Gestaltungen nachzugehen.

Unter dem Schlagwort der Erkenntnis über den Tod sei zuletzt auf die Beiträge von Thiemo Breyer und Hannes Wendler sowie auf jenen der Ethnologin Mira Menzfeld verwiesen. Breyer und Wendler stellen aus anthropologischer, philosophischer und psychologischer Perspektive Max Schelers Auseinandersetzung mit dem Tod in den Fokus ihres Beitrages. Scheler grenzt sich in seinem Oeuvre bewusst von einem epikureischen Todesverständnis ab und geht von einem eigens ausgeprägten Todesverständnis durch den Prozess des Alterns aus. Der kulturell unterschiedliche Umgang mit dem Sterben in Finnland, Südchina und Deutschland bildet den Hintergrund des Aufsatzes von Menzfeld. Sie kann anhand von Interviews mit moribunden Menschen drei verschiedene Verständnisformen des Sterbens ausmachen, die die Frage aufwerfen, ab welchem Zeitpunkt ein Mensch zum Sterbenden im Sinne eines bald verstorbenen Menschen wird.

Für den vorliegenden Sammelband wurden die einzelnen Beiträge nicht in Relation zueinander gesetzt. Dies ist vollkommen verständlich, wenn der Herstellungsprozess von Sammelbänden beachtet wird. Es ist aber insofern bedauerlich, da es zahlreiche inhaltliche Überschneidungen gibt, die es möglich gemacht hätten, entweder kapitelartige Schwerpunktsetzungen zu betreiben oder aber zwischen den Beiträgen intertextliche Verbindungen herzustellen. Der chronologische Verlauf des Bandes bietet den Vorteil einer Orientierungshilfe der vielseitigen Thematiken durch zeitliche Fixpunkte, stellt jedoch zugleich die Gefahr dar, eine einheitliche Entwicklung zu suggerieren. Dadurch gerät das Anliegen des Buches in Gefahr, auf die parallele Vielseitigkeit von Todesvorstellungen zu verweisen. Manche Texte bleiben dabei stilistisch und durch inhaltliche Vorannahmen auf ihre fachliche Zielgruppe beschränkt und erschweren damit den interdisziplinären Dialog. Der Titel des Sammelbandes „Todesarten“ ist bisweilen verwirrend, weil darunter umgangssprachlich die Art des eingetretenen Todes verstanden wird. Diverse Beiträge beschäftigen sich aber gerade nicht mit dem Sterbeakt, sondern fokussieren vielmehr auf die Erinnerungen an die Verstorbenen. Nichtsdestotrotz kann das lobenswerte Anliegen, die soziale und kulturelle Konstruktion von Todesvorstellungen interdisziplinär auszustellen, als Erfolg gewertet werden. Die zumeist hohe sprachliche und inhaltliche Qualität der Beiträge ermöglicht Einblicke in komplexe Kontexte und lädt zum Weiterdenken ein. Eine daran anschließende Beschäftigung mit den hier behandelten Themen ist wünschenswert und relevant nicht allein vor dem Hintergrund neuer und alter Krisen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Ernst Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, 2. Aufl., Deutsche Erstausgabe, München 1994.
2 Vgl. Christoph Wilhelm Hufeland, Makrobiotik oder die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern, hrsg. v. Alfred Maury, fünftes und sechstes Tausend, Berlin [1896].

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